Vergangenes Wochenende, schönestes Wetter: Zeit, meine verdeckstrippende Rakete Ringo mit dem Lackstift noch etwas für den Sommer aufzuhübschen.
Noch während ich am Pinseln bin, wackelt eine nette alte Dame den Bürgersteig entlang und bleibt auf meiner Höhe stehen. Sie entschuldigt sich, dass sie mich bei meinen Lackarbeiten stört, und fragt mich, ob ich weiß, wen sie ansprechen könne, wenn sie eine kleine Wohnung suche. So etwa vierzig Quadratmeter. Sie habe eine Eigentumswohnung mit sechzig Quadratmetern, von der sie sich aber gerne trennen würde.
Ich sage ihr, dass ich meine Wohnung im Internet gefunden und zudem und leider keinen blassen Schimmer habe, wen sie ansprechen könnte.
Nach einer höflichen Verabschiedung hätte das Gespräch an dieser Stelle enden können. Genaugenommen hat das Gespräch an dieser Stelle auch geendet, denn was folgt, ist ein Monolog der netten alten Dame, die, so wie sich herausstellt, keine Ahnung von Computern im Allgemeinen und dem Internet im Besonderen hat, von ihrem Mann, einem ehemaligen, offenbar alkoholabhängigen und bereits verstorbenen Professor geschieden wurde, weil er ihr irgendwann eine Assistentin vorzog, sie aber keine neue Beziehung mehr gesucht hat, weil Frauen es ja viel schwerer bei so etwas haben. Männer seien da schneller. Und sie habe das auch nicht gewollt. Ihre Söhne hätten ihr genug Kraft gegeben, leider sei einer von Ihnen mit neunzehn verstorben, kurz nachdem er zum Vater gezogen sei, der ihn ohnehin nur zum Gärtner seines Gartens hätte machen wollen. Der andere Sohn lebe mit seiner Frau und Kind in Paris, aber sie könne es sich kaum leisten, oft dort hinzufahren. Außerdem wolle sie sich ja nicht aufdrängen. Als sie einmal da war, war das Kind krank, und sie kannte sich in Paris ja auch gar nicht aus, deswegen sei sie auch am nächsten Tag wieder abgereist.
“Ja, richtig”, und “Hmmm”, werfe ich immer wieder ein, seit ich mich nach den ersten fünf Minuten Vortrag wieder der Lackausbesserung zugewandt habe. Ihre Lebensgeschichte, die sie mir so vollkommen ungefragt erzählt, interessiert mich kein Stück. Doch ich habe keine gute Ausrede zur Flucht, und ihr offen sagen, dass sie mir egal ist, bringe ich irgendwie nicht übers Herz.
Ich beginne, zu begreifen, warum sie mir das alles erzählt. Und spätestens, als sie erwähnt, dass sie im Grunde genommen am Rande der Gesellschaft steht, wird mir klar, dass sie einfach niemanden hat, mit dem sie kommunizieren und ihre Sorgen, alltäglich oder nicht, teilen kann. Sie tut mir leid, und ich bin froh, als sie schließlich wieder auf ihre Wohnungssuche zu sprechen kommt, und mir einfällt, sie auf die Telefonnummer meiner Hausverwaltung hinzuweisen.
Sie notiert die Nummer und bedankt sich. Wir wünschen uns gegenseitig noch einen schönen Tag, und ich freue mich ein wenig auf den Rest meiner Lackierarbeiten ohne Zwangsbeschallung.
Doch auch als sie schon eine Weile weg ist, spukt sie mir noch im Kopf herum. Dass sie aus Bad Nauheim einfach nicht wegkomme, obwohl sie eigentlich wollte. Dass ich freiwillig und gerne dort bin, und wie lange das wohl noch so bleiben mag.
Und ob mich dereinst ein ähnliches Schicksal ereilen wird.