World of Frustcraft

World of Frustcraft

Ich gebe es offen zu: Ich bin ein Gamer.

Ich bin Gamer seit den ersten Kontakten mit einer Atari-Fernsehkonsole Anfang der Achtziger, vielleicht auch schon seit den ersten Malen “Mensch ärgere dich nicht” und Micky Maus-Memory. Auch wenn man Gamer damals noch nicht so nannte.

Diese Leidenschaft führte mich zum Erstkontakt mit dem derzeit erfolgreichsten MMOG (Massive Multiplayer Online Game) World of Warcraft (kurz: WoW) im August 2005. Eine gigantische virtuelle Welt, liebevoll im mehr oder weniger bunten Comic-Stil gestaltet* und bevölkert von Tausenden anderer Spieler. Vieles gab es zu entdecken, neue Leute kennenzulernen** und eine Unzahl (immer wiederkehrender) Gegner zu bezwingen. Mit WoW kann man Stunden, Tage, Wochen, Monate, Jahre verbringen.

Richtig erkannt: WoW hat Suchtpotenzial. Man muss es genießen wie einen guten Wein mit Freunden, um seine Gefährlichkeit im Zaum zu halten. Ähnlich jedoch wie bei einem guten Wein mit Freunden muss man für eine eingermaßen sinnvolle Session WoW mindestens zwei Stunden einplanen. Zwei Stunden am Stück, denn so etwas wie eine Pausefunktion gibt es nicht, weil alles live und online passiert.

Sicher kann man seiner Spielfigur einen ruhigen Ort suchen oder sich ausloggen. Wenn man aber mit vier oder mehr anderen Spielern in der gleichen Gegend (auch: Instanz) unterwegs ist, und die ohne den dann fehlenden Spieler nicht oder nur sehr viel schwerer weiterkommen könnten. Auf Toilette gehen? Geht noch. Nahrungsaufnahme? Muss sowieso abnehmen. Schlaf? Überbewertet. Leben? Äh. Wie war die Frage?

An Urlaubstagen habe ich auch schon zehn, vielleicht sogar mehr Zeit an einem Tag in WoW verbracht. Als gelegentliche Ausnahme geht das auch voll in Ordnung. Aber als Mensch mit vielfältigen Interessen, einem Vollzeitjob, Freunden und Familie, die auch offline Kontakt aufnehmen und pflegen möchten und einer Freundin, die eben keine Gamerin und schon gar keine WoW-Spielerin ist, als solch ein Mensch sollte ich nicht darüber nachdenken, mich weiterhin langfristig in WoW engagieren zu wollen.

WoW ist ein zeitfressendes Monster, das, wenn es den verlangten Zeittribut nicht bekommt, weniger Spaß als Frust verursacht. Und das Stückchen Freizeit, was mir in der Regel bleibt, will ich mit Spaß füllen. Wahrscheinlich auch mit Spielspaß, aber auf jeden Fall mit Spaß.

Aus diesem Grunde habe ich heute mein WoW-Account gekündigt.

Seit etwa anderthalb Jahren wartet eine Gitarre geduldig darauf, von mir gequält zu werden. Ich muss zwar noch lernen, nur das Instrument selbst und nicht auch alle Umstehenden zu quälen, aber ich bin zuversichtlich. Mal schauen, was mich dieses Mal davon abhalten wird.

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* …und dabei an die zugrundeliegende (und zu Recht erfolgreiche) RTS-Serie “Warcraft” angelehnt.

** Der monatliche Preis von 11 bis 13 Euro sollte angeblich auch Idioten fernhalten. Aus eigener Erfahrung muss ich sagen: Mit mäßigem Erfolg. Aber im Vergleich zu diversen kostenlosen MMO(RP)Gs ist die Deppenquote angeblich geringer.

19 thoughts on “World of Frustcraft

  1. Herr Scheibster, ich bin stolz auf Sie! Willkommen in der “real world”… Man muss auch mal erwachsen werden können, oder?
    Dies schrieb Ihnen FrauVau, die jetzt gleich mal eine kleine Kampagne SiedlerIV spielen geht.. wuahhaha.
    Nein, das war ein Scherz!
    (eine reicht meist nicht..)
    Ihre Freundin wird es Ihnen danken!

  2. Danke, FrauVau.

    Man (und frau) unterscheide aber bitte diese Vernunftsentscheidung und die immer noch intakte Gamerseele.

    Und so weit entfernt von der “echten Welt” war ich auch nie, sonst wäre ich wohl kaum zu diesem Entschluss gekommen… Oder hätte viel mehr über WoW gepostet. 🙂

  3. Herzlichen Glückwunsch, Herr Scheibster. Eine sicherlich nicht falsche Entscheidung. Das Suchtpotential von Computerspielen ist wirklich groß, leider bleibt, das ist zumindest meine Erfahrung, am Ende des Spiels nichts zurück, was einen erfüllt. “Habe ein neues Level erreicht” zählt nicht auf der internen Erfolgsskala. “Kann die Akkorde von Fast Car” dagegen wahrscheinlich schon eher.
    *schielt auf die eigene Nase*
    *fasst sich aber nicht an selbige*

  4. herr scheibster – wow? sie? das hätte ich nun wirklich nicht gedacht.
    (ich war der überzeugung, wow-gamer wären grundsätzlich langhaarige teenager im flanellhemd, denen pizzareste auf selbigem kleben. na, da habe ich mich wohl getäuscht. ^^)

  5. @Wolf: Erfolge bei Videospielen konnten noch nie als virtuelle Verlängerung der Männlichkeit dienen oder sonst einen guten Zweck erfüllen – außer dem eigenen.

    @Wort-Wahl: Frau Wahl, Sie glauben gar nicht, wie viele geplegte, gutaussehende WoW- bzw. Ex-WoW-Spieler außerhalb des Teenageralters ich kenne. Aber ich rücke Ihr Weltbild gerne zurecht. :o)

  6. Bittersweet, das Ganze. Wieder eine Erinnerung mehr und eine Lebenseinstellung weniger. Muss ich sofort die Blechtrommel lesen, um Ihren Beitrag zu kompensieren…

  7. Grass ist sicher kein Fehler, liebe Meph.

    Und ich kann versichern, dass ich nicht in der Waffen-SS gedient habe! 🙂

  8. Ach, Herr Haase, das is noch gar nix… Shooter spiele ich auch. Und ich bin Sportschütze! Mich wundert, dass mich noch keiner abgeführt hat. :o)

  9. Würde WoW nicht grässlich viel kosten wäre ich vermutlich das totale Opfer. Aber das ist es mir echt nicht wert.

  10. @Eon: Danke. Klingt nach einem Insiderglückwunsch. 🙂

    @PropheT: Ja, für das Geld kann man auch im Monat einen Kasten Bier holen. Oder so. 🙂

    @Nicole: Äh. Dafür müsste ich D2 wieder installieren. Und wieder von vorne… Ach nö. 🙂

  11. “Du musstest dich überwinden, um dich nicht auf ewig zu binden!”
    Ich verneige mich vor soviel Entscheidungskraft, sich von etwas Geliebten zu trennen, um das andere mehr zu würdigen! (Natürlich herrscht keine Relation zwischen den beiden Dingen:-))Lob und Anerkennung (Nein ich spiel kein WoW!)

  12. Die Charaktere werden ja gaaaaanz lang gespeichert… WoW kann warten… WoW hat Zeit.. hihihihi

  13. @MacLeod: Ja, danke auch. 🙂

    @Klapsenschaffner: Eben. Vielleicht mal wieder ein Monatsabo, wenn’s mich packen sollte, aber vorerst nicht. :o)

  14. Ich habe meine Gamer-Karriere zu Donkey-Kong-Zeiten beendet und mich damals intensiver dem Gitarrenspiel gewidmet. Es hat nicht geschadet.

  15. Nicht wirklich Insider. Auf meinem Rechner läuft nur ein Schach und ein Sudoku Programm. Der Rest dient dem Ausleben kreativer Zwänge. Aber mit Süchten im Allgemeinen kenne ich mich aus.

  16. @Markus Quint: Nach Donkey Kong? Oha. Aber Axtschwingen macht bestimmt auch Spaß, und es ist definitiv beeindruckender.

    @Eon: Ah, I see.

    Gaming beschränkt sich übrigens nicht auf grafik- oder actionintensive Titel. :o)

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