Bahnhof der verlorenen Seelen
Mit Stille erwartet er mich. Seine Lichter brennen, als wären hunderte zugegen. Ihr Schein kämpft gegen die erbarmungslose Schwärze der Nacht, doch mehr als Verzweiflung geht von ihnen nicht aus.
Die Stille schreit mir die Abwesenheit jeglichen Lebens entgegen. Die sommerlich-lauen Temperaturen fallen alleine durch das Konglomerat aus Stein, Stahl und Elektrizität, während ein geisterhafter Schemen mir verspricht, den Weg zur Lunge mit Gold statt mit Teer zu pflastern.
Ich schenke ihm keinen Glauben, und mein Blick streift ein Objekt, das die buntbefensterte Kathedrale dieses Ortes zu sein scheint. Doch die scheinbar in ihr liegende Erlösung entpuppt sich als überteuerter Ablasshandel für die unterzuckerte, frustzerfressene Blutbahn. Die eingesperrten Süßigkeiten flehen den Betrachter sirenengleich nach Befreiung an, doch haftet ihnen der gleiche Lügengeruch an, den auch der Gold-Mann verbreitet.
Ich wende mich ab und stelle fest, dass helle Scheinwerfer sich vom Horizont mit gleichmütiger Geschwindigkeit nähern. Ein schier endloser Koloss aus Stahl gleitet fast lautlos über die Schienen, um einige Meter entfernt eine Verschnaufpause einzulegen.
Seine fensterlose Hülle knarzt und ächzt, es poltert in seinem Inneren. Die verlorenen Seelen, die er transportiert, haben sich schon lange mit ihrer Odyssee abgefunden. Mit Erstaunen registrieren einige meine Anwesenheit, um dann zurück in ihre Lethargie zu verfallen.
Wie sie wohl dort hineingekommen sind, frage ich mich.
Dann wird es schwarz.
10 thoughts on “Bahnhof der verlorenen Seelen”
Sehr, sehr poetisch!! Sie wissen ja, dass mir das zur Zeit sehr liegt… also bitte mehr…..
Herzliche Grüße!!!!
FrauVau
Vielen Dank, FrauVau, ich gebe mir Mühe…
Aber die Muse ist eine ziemlich eigenwillige Zicke, wenn ich das mal so schreiben darf.
Toller Prosadichtung! The fickle Muse has touched you once, she won’t be able to resist another visit.
Danke, Lars. Ich hoffe nur, die Muse weiß, dass sie mir nicht widerstehen kann. 🙂
Großartiger Text. Und ziemlich wahr, denn so etwas wie einen auch bei Nacht noch irgendwie einladenden Bahnhof hat auf dieser Welt einfach noch nie jemand erfunden.
Wie gesagt: Toll geschrieben, das.
Besten Dank! War in der Tat sehr gespenstisch, die Muse, die mich dort küsste. 🙂
erinnert mich an angelreich.deviantart.com
und das ist was verdammt positives!
Süßigkeiten kauern traurig hinter Gittern. Die Blicke streifen Kiesbetten nur kurz. Der Aschenbecher qualmt und brennt von innen. Dein Text gewissermaßen ebenfalls. Dunkel, verschlungen, mystisch, wortgewandt. Schön geworden.
Diese buntbefensterten Kathedralen haben mich bislang nicht nur mehrere Kilo Hartgeld, sondern auch diverse Nervenstränge gekostet. (Aber bei sowas wird man nie schlauer.)
Stimmungsvoller Text!
@PropheT: Da sage ich doch: Dankeschön und freut mich!
@Ole: Danke. Zum Glück hat nix gequalmt. Der Gold-Mann wollte nur dazu animieren. 🙂
@MQ: Danke. Ich sollte solche Automaten betreiben. Am Butzbacher Bahnhof gestern hat das hessentagsgeschädigte Volk einfach alles leergekauft.