Das Kissen auf der Fensterbank

Das Kissen auf der Fensterbank

“Blogito ergo sum – Je blog, donc je suis.”
(Ich blogge, also bin ich. Ihr Nicht-Franzosen und “Sag’ nein zu Latein”-Lateiner.)

Heute stellte ich mir die Frage, warum Blogs eigentlich so boomen, wie sie es tun.

Früher, ja, früher hat man sein Tagebuch geheimgehalten. An den vermeintlich sichersten Orten der Welt versteckt, und wenn es von Mutter oder Geschwistern dann doch gefunden wurde, war man meist wütend oder peinlich berührt. Aber: Wer auch immer ein wenig Mentalexhibitionist ist, für den müssen Blogs und Internet ein wahrer Segen sein.

Ich denke allerdings, dass die wenigsten SchreiberInnen das in einen Blog bannen, was sie einem Pen & Paper-Tagebuch anvertrauen würden.

“Liebes Tagebuch,

habe derzeit einen echt fiesen Pilz, außerdem glaube ich, dass ich schwanger bin von meinem Chef. Oder dem Hausmeister. Vielleicht von beiden.

Dein Klaus

P.S.: Der Pilz nässt ganz schön dolle.”

So etwas liest man in Blogs eher selten. Dem Himmel sei Dank, weil man es ja gar nicht lesen will. Gerade im Internet gilt aber: Sag niemals nie. Es kommt hinzu, dass ich mein Tagebuch nicht in meiner Stadt herumreiche, damit wer mag einen Kommentar dazukritzeln kann.

“Hey Klaus,

den Pilz hatte ich auch schon. Ich glaube, der kommt von Deinem Hausmeister. Tauche ihn mal in Naturjoghurt, das wird helfen.

Kopf hoch,
Eugen”

Nein, Blogs sind anders als die guten alten Tagebücher. Sie sind ein virtueller Hyde Park, wo jeder nach Lust und Laune monologisieren kann. So lange, bis der Arzt kommt. Ohne die doofe Holzkiste.

Und vor allem ohne Platzmangel. Segnender Faktor Internet. Und wer hat’s erfunden? Die Jungs von der ICANN. Eigentlich, damit die Bande um George W. es leichter hat bei der Absprache des nächsten Krieges gegen den Terror, und damit das Abhören einfacher wird.

Ja, wer es noch nicht weiß, das Internet gehört noch immer den USA. Auch wenn es das Internet überall gibt. Aber überall ist ja auch, wo die Freunde vom Schorschi sein wollen. Naja, jedenfalls dort, wo es etwas zu holen gibt. Terroristen natürlich. Kein Öl oder so.

Aber zurück zum Thema: Ein Blog hat also etwas von einem Tagebuch und einer Kiste in der Speaker’s Corner. Man kann Freunden Dinge mitteilen, ohne alle anzurufen oder E-Mails zu schreiben. Man kann bei entsprechend großer Leserschaft auch um Rat und Hilfe bitten, quasi als Ein-Mann-Forum. Oder Eine-Frau-Forum. Man kann in aller Ruhe Ego-Trips ausleben oder Psychotherapie betreiben und erfährt vielleicht sogar mehr Aufmerksamkeit als außerhalb des Internet. Schreibe ich also, was ich gerne schreiben will, oder schreibe ich das, von dem ich glaube, dass andere es gerne lesen?

Für mich ist es ein wenig von beidem. Ich blogge zudem, weil ich wenig Zeit habe, um meine gelegentlichen Kreativschübe in Geschichts- oder gar Bücherform zu bringen. Wenn es denn dafür überhaupt reichen würde. Außerdem kann man aus Kolumnen keine Bücher machen. Kolumnen machen aber Spaß, selbst wenn ich weiß, dass der Kreis der Leser sehr erlesen ist.

Und apropos lesen: Als Blog-Leser schaue ich, ob es bei Freunden etwas Neues gibt. Man sucht Interessantes, Witziges, Sinnbefreites, Gedankenstimulanz. Manchmal scheint es, als ob man in das Wohnzimmer fremder Leute schauen dürfe. Natürlich zeigen die Blogger nur die Ecken, die man auch sehen soll. Vielleicht ist es auch gar nicht das Wohnzimmer des Bloggers. Aber das spielt irgendwie keine Rolle. Die Neophilie treibt mich. Neugier anonym ausleben können ist einfach etwas Tolles. (Nun gut, die CIA weiß Bescheid, aber die Jungs sind mir schnurz.)

Ja, es ist wissenschaftlich nachgewiesen worden, dass das Gehirn des Menschen neue Eindrücke mit der Ausschüttung netter Hormone in die Blutbahnen belohnt. Macht auch Sinn, sonst würden wir nie etwas lernen, geschweige denn freiwillig. Neugierige Menschen sind in gewissem Sinne also drogenabhängig. Trotzdem benehmen sich die meisten nicht so bescheuert wie beispielsweise Pete Doherty. Zugegeben, der macht das der Publicity wegen. Und ganz ehrlich, wie beeindruckend ist es zu sagen:

“Hey guys, I’ve had three-hundred freakin’ lines of blog last night!”

…im Vergleich zu:

“Hey guys, I’ve had three hundred freakin’ lines of coke last night!”

Der Gewinner ist offensichtlich. Auch wenn ich persönlich mein körpereigenes Dopamin bevorzuge. Dem Klapsenschaffner und dem Leif an dieser Stelle einen herzlichen Dank für den entscheidenden Stoß in Richtung Blogger-Dasein.

In diesem Sinne, auf zu neuen aufregenden Abenteuern in den Blog-Untiefen des Internet!

6 thoughts on “Das Kissen auf der Fensterbank

  1. Jaja, die Rohköstler. Sind doch liebenswert, oder?
    Jeder blamiert sich so gut er kann.
    Aliena und Germaine noch ein wenig mehr.

  2. Sehr liebenswert, so auf den ersten Blick. Hatte ja gerade erst meinen Rohkosteinstieg! 🙂

  3. Nicht wieder gehen lassen, festhalten!
    Ergibt eine tägliche Dosis Stumpfsinn,
    ganz ohne Drogen und völlig kostenlos.
    Morgen gibt’s die Tampon Fortsetzung mit
    Apfelessig, aber ich verrate schon wieder zuuu viel.

    😉

  4. Wow, da bin ich echt gespannt. Apfelessig, hm? Da schüttelt es mich ja jetzt schon. :-))

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