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Category: Scheibsters Shorties

Kidnapping Eugen (5)

Kidnapping Eugen (5)

“Der Krug geht so lange zum Brunnen, bis er spricht”, sagte Eugen zu dem Mädchen mit dem Tonkrug.

“Macht nichts”, sagte das Mädchen. “Serben bringen Glück.”

Eugen stieß leidenschaftlich den Brunftschrei eines lappländischen Rentieres aus. “Man soll immer aufröhren, wenn man am schönsten ist”, fügte er hinzu.

“Reden ist Silber, Schreien ist Gold”, erwiderte das Mädchen.

“Ganz recht, und der Spatz an der Wand ist besser als der Taube vom Bach”, säuselte Eugen das Mädchen mit dem Tonkrug an.

“Komm’ jetzt, Eugen, wir müssen weiter”, rief Manni dem vor sich hin fabulierenden Eugen zu.

“Ach, Eugen”, seufzte der sprechende Tonkrug.

Tanze für mich, dicker Koch

Tanze für mich, dicker Koch

Gerade, als ich die ziemlich attraktive junge Dame an der Bar auf ein alkoholhaltiges Getränk einladen wollte, trat Alfonso, der dicke Koch, aus der Küche und hinter die Theke. Alfonso, der dicke Koch, stahl damit nicht nur mir die Aufmerksamkeit der ziemlich attraktiven jungen Dame, sondern auch allen anderen Anwesenden mit seinen überfunktionalen Schweißdrüsen die Luft zum Atmen.*

Mit androstenongeschwängerter Stimme hauchte die ziemlich attraktive junge Dame ein “Tanze für mich, dicker Koch!” in sein ziemlich behaartes Ohr. Alfonso, der dicke Koch, warf nach einer gefühlten Äone Blick und Arme in den von der Raumdecke verborgenen Nachthimmel und tänzelte wie ein junger Gott von hinter der Theke in die Küche, und von der Küche mit einem hölzernen Kochlöffel zwischen den Zähnen vor die Theke, um die ziemlich attraktive junge Dame in seinem vielfach erprobten Tangowürgegriff dahinschmelzen zu lassen.

Noch während Alfonso, der dicke Koch und die ziemlich attraktive junge Dame Arm in Arm in einen ziemlich verschwitzten Feierabend entschwebten, rief ich den beiden ein “Pah, Tangowürgegriff!” hinterher. Dass ich einen Elefanten noch viel besser zeichnen konnte als Alfonso, der dicke Koch, behielt ich für mich.

“Zeichnest du einen Elefanten für mich?” fragte Harry, der Barmann und zwinkerte mir zu.

“Na gut”, sagte ich und zeichnete ihm den zweitbesten Elefanten, der jemals von Menschenhand gezeichnet wurde, auf eine nur halb durchweichte Serviette.

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*Nun, wenigstens den angenehmen Teil der Luft.

Angel of Westbahnhof (2)

Angel of Westbahnhof (2)

Neulich abends war er weg. Einfach so.

Die an allen ungeschützten Stellen des Körpers nagende Kälte und die fast greifbare Dunkelheit, die den Frankfurter Westbahnhof an winterlichen Abenden beherrschen, gewannen mit einem Schlag neue Qualitäten. Albern, sagte ich mir, sich Gedanken über einen Plastikkitschengel zu machen, der im Fenster eines in hässlichstem Schmutzgelb verklinkerten Bahnhofsgebäudes steht. Und noch viel alberner, sein Verschwinden zu bedauern.

Einige Tage später, als ich schon fast vergessen habe, dass er nicht mehr da ist, sehe ich ihn wieder. Im Bahnhofscafébistroschnellimbissdingens. Mitten im Raum sitzt er, auf einem Tisch, sein Plastikbuch lesend. Noch während ich mein Handy gezückt halte, um ein Beweisfoto von fragwürdiger Qualität zu schießen, spricht die Pächterin mich an.

“Unser Engelchen. Goldig, nicht?” sagt sie freundlich.

Dass ich ihn eigentlich ziemlich grenzwertig finde, will ich ihr nicht einfach so ins Gesicht sagen, schließlich haben wir keine offenen Rechnungen.

“Ich habe ihn immer vom Bahnsteig aus im Fenster stehen sehen und mich gewundert, wohin er verschwunden ist”, entgegne ich stattdessen wahrheitsgemäß.

Sie lächelt, ich lächle zurück und verlasse das Café. Ich finde ihn noch immer kitschig, den goldbesprühten Plastikengel, und würde ihn mir nie auch nur in die Nähe meiner Wohnung stellen, so viel ist sicher.

Aber in einer der hinteren Ecken meiner Seele sitzt ein Teil, der sich immer noch über ihn freut.

Und ich lächle.

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– Was machst du denn hier?

– Ich sitze hier und lese mein Buch. Damit hättest du nicht gerechnet, hm?

– Wenn ich ehrlich bin: Nein, das habe ich wirklich nicht. Wie, ähm, geht’s den Goldlöckchen?

– Die nerven immer noch. Aber die Menschen, die hier hereinkommen, sind angenehmer als die, die am Fenster vorbeilaufen.

– Ich wusste gar nicht, dass du liest. Ich dachte, du würdest beschämt nach unten schauen, weil du dein Dasein an einem so tristen Ort fristen musst.

– Ich kann gar nicht lesen. Aber hier es ist angenehmer, in das Buch zu starren als in irgendeine andere Richtung. Außerdem: Auch Engel brauchen ihre kleinen Geheimnisse. Du kennst jetzt meines. Mist.

– Ich fürchte, ich werde es nicht für mich behalten können. Schließlich mag ich dich nicht besonders.

– Ach, weißt du, die Menschen hier, die mich angeblich goldig finden, sperren mich elf Monate im Jahr in eine Abstellkammer. Zugegeben, es gibt Tageslicht, aber das erhellt auch nur eine Umgebung, die man lieber in Dunkelheit gehüllt weiß.

– Halte mal kurz still.

– Wenn du mich nicht magst und so kitschig findest, wieso fotografierst du mich dann?

– Das geht dich nichts an.

– Ach, glaubst du vielleicht, nur weil ich aus weißem Plastik bin und Flügel habe, kannst du einfach meine Persönlichkeitsrechte verletzen?

– Du hast die Goldlöckchen vergessen.

– Und du hast wohl vergessen, dass du ganz schön sentimental sein kannst, wenn du nicht gerade gemein zu mir bist.

– Ich muss jetzt gehen. Wir sehen uns. Hier oder im Fenster.

– Jaja. Tschüss auch.

– War schön, dich wiederzusehen.

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All meinen Lesern, Mitbloggern und allen anderen wünsche ich wundervolle Feiertage!

Kidnapping Eugen (4)

Kidnapping Eugen (4)

Manni aus der Zukunft fuhr sich über sein noch immer leicht geschwollenes Kinn. Wo auch immer er mit Eugen gerade gelandet war, den Klamotten der Leute nach zu urteilen war es nicht die Zeit, aus der Eugen stammte. Aber eine Gemeinsamkeit schien es zu geben: Dämliche Talkshows.

Und natürlich mussten sie in der Garderobe irgendeines dämlichen Privatsenders landen und natürlich hatte Eugen sich sofort begeistert gezeigt, als man ihn spontan zu einem Auftritt einlud. Wenn es das nächste Mal um Zeitreisen mit einem Grenzdebilen ginge, so schwor sich Manni, würde er sich in die allerletzte Ecke verkrümeln und so tun, als sei er das Trockeneis aus der zweiten Folge.

Moderator: “…und wir präsentieren Ihnen nun Eugen, der einhundertdrei verschiedene Uhrzeiten am Stand der Zeiger erkennen kann!”

Eugen: “Danke, das stimmt.”

Moderator: “Eugen, was für eine verrückte Idee! Welche ist denn Deine Lieblingsuhrzeit?”

Eugen: “Sieben Uhr zweiundneunzig!”

Moderator: “Eugen, meine Damen und Herren!”

Ach, Eugen, seufzte Manni.

Familienfeier

Familienfeier

Soeben inspirierte mich ein winziger Tippfehler zu dem nun folgenden Text. Ich sage aber lieber nicht, wer’s war, sonst wird die Frau Nora zu recht böse.

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Luigi war angespannt. Der Boss hatte manchmal ausgefallene Wünsche, aber so etwas war wirklich neu. Luigi musste sich keine Vorwürfe machen, denn er hatte sich wirklich alle Mühe gegeben. Es gibt Fragen, die man nicht stellt, wenn man zur Familie gehört, deswegen hatte Luigi einfach getan, wie ihm aufgetragen worden war.

Die Tür öffnete sich, und Banane betrat den Raum. Banane war die rechte Hand des Bosses, und Luigi hatte ihn nie nach seinem echten Namen gefragt, geschweige denn nach dem Grund, warum man ihn Banane nannte. Es gibt Fragen, die man nicht gestellt bekommt, wenn man so aussieht wie Banane.

“Luigi, was soll das da auf dem Tisch sein?”

“Das, was du mir gesagt hast, Banane. ‘De’ Boss will eine ve’dammte Gebu’tstagstote zu’ Feie’ haben. Kümme’ dich d’um, Luigi’, hast du gesagt.”

“Luigi, mamma mia, ich sagte Gebu’tstagsto’te, nicht Gebu’tstagstote.”

Beide starrten auf die alte Frau, die mit einer brennenden Kerze in der Hand und einer weiteren auf dem Kopf auf dem gedeckten Tisch saß und begonnen hatte, den Zuckerguss von ihrer Schulter abzubröseln und sich Stück für Stück in den zahnlosen Mund zu schieben.

“Und auße’dem, Luigi: Die ist noch ga’ nicht tot.”

“Sie stirbt bald an Altersschwäche, Banane. Das hat mir Marco versichert. Und er muss es wissen, schließlich ist es seine Großtante. Und selbst wenn nicht: Warte nur, bis sie angeschnitten ist!”

Es gibt Fragen, die man nicht gestellt bekommt, wenn man alt und etwas wunderlich ist.

“Schaff’ sie hie’ ‘aus, Luigi. P’onto.”

Luigi brummelte etwas Unverständliches über seinen Job, zahnlückenbedingte Sprachfehler und dass er es keinem recht machen könne. Er warf sich die vor sich hin kichernde Alte über die Schulter und stapfte aus dem Raum.

Beim nächsten Mal würde er einfach fragen. Jetzt musste er Marco seine Großtante zurückgeben, und er bezweifelte ernsthaft, dass er die zweihundert Euro wiedersehen würde, die er dafür aus seiner eigenen Tasche vorgestreckt hatte.

An Tagen wie diesen hasste Luigi sein Leben, was nicht weiter tragisch war, denn sein Leben hasste ihn auch.

Und die Alte auf seiner Schulter kicherte.